Die Geschichte der Vaganten
Der Trupp der Baschkiren
Anfang bis Mitte der 50 er Jahre (man frage Peter Kessler, den ehemaligen Vorsitzenden des Fördervereins, der war dabei) verzogen Mitglieder des Stammes der Wulfen im damaligen Bund Deutscher Pfadfinder, BDP, (Gau Taunus, Landesmark Hessen für diejenigen die es genau wissen möchten) mit ihren Eltern aus Frankfurt nach Schwalbach, wie so viele mittlere bis gehobene Angestellte in dieser Zeit ins Häuschen im Grünen zogen. Zu diesen frisch Zugezogenen kamen einige neugierig gewordene Schwalbacher, die schon bald keine Lust mehr hatten, für Heimabende nach Frankfurt bzw. Höchst zu fahren. Aus dieser Gruppe entwickelten sich bis Anfang der 60 er Jahre mehrere Sippen und eine Meute, die sich im Hause Kessler in der Eschborner Landstraße im Keller trafen. Sie nannten sich Trupp der Baschkiren (als Untergliederung der Wulfen)
Der Bund Deutscher Pfadfinder war damals als interkonfessioneller Verband, mit der DPSG und der VCP zusammen, der für Deutschland vom Weltbund anerkannte Pfadfinderverband. Er trat weitgehend so auf, wie heute der BdP, nämlich in dunkelblauer Kluft und mit blaugelbem bzw. gelbem Halstuch. Es wurde traditionelle, bündisch geprägte Pfadfinderarbeit betrieben. Dem Zeitgeist entsprechend handelte es sich um eine reine Jungengruppe. Pfadfinderinnen waren national und international in eigenen Bünden organisiert. In Schwalbach gab es nur die Jungengruppe.
Der Stamm der Vaganten
Mitte der 60 er (so 65/66)wurde aus dem Trupp der Baschkiren ein eigener Stamm mit zwei Meuten und jeder Menge Sippen, der sich dann Stamm der Vaganten nannte. Außerdem konnte in der Hainstraße im alten Ortskern ein neues Domizil bezogen werden. Zuerst nur ein Raum, später dann das ganze alte Haus mit 4 Räumen und Küche. Das Gebäude wurde von der Stadt unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Da die Pfadfinder als einzige Gruppe außer Kirche und Sportvereinen Jugendarbeit in Schwalbach machten, wuchs der Stamm rapide. Es gab ja auch weder Jugendzentrum noch andere geeignete Treffpunkte.
Gleichzeitig löste die Studentenbewegung ("die sogenannten 68 er) bzw. das erwachende politische Bewußtsein der Jugendlichen auch im Bund Deutscher Pfadfinder Diskussionen über Formen, Inhalte und politisches Selbstverständnis aus. Zwischen 1968 und 1970 versuchten auch bei den Vaganten, politisch engagierte Jugendliche einzutreten und die Formen, Begrifflichkeiten und Inhalte der Arbeit zu verändern. Das geschah zum Teil auf sehr triviale, undifferenzierte bzw. oberflächliche Art und Weise, aus einem an Formen, Worten und politischen Bekenntnissen orientierten Antifaschismus heraus.
Bei den Vaganten löste sich das Problem, indem diese "revolutionäre", hauptsächlich aus "Seiteneinsteigern" neu erstandene Rovergruppe wegen Untätigkeit gebeten werden konnte, die Gruppe doch bitte wieder zu verlassen. Das führte zwar zu einer kleinen Führungskrise, aber die Handvoll jüngerer (zu junger?) die dann ab 1968/69 allein weiterwurstelte, behielt mangels Alternativen doch die meisten pfadfinderischen Formen bei.
Die Vaganten im Bund der Pfadfinder
Der Bund Deutscher Pfadfinder (BDP) entwickelte sich jedoch zu einem politischen Jugendverband unter linkem Vorzeichen, bis hin zu marxistisch/trotzkistischer Ausrichtung. Dies gefiel natürlich weder dem Weltbund, noch einem Teil der eher traditionell pfadfinderisch (liberal?) orientierten Älteren im Bund. So kam es zur Abspaltung und Gründung eines neuen, interkonfessionellen Jungenbundes, des "Bund der Pfadfinder (BdP)", der, im Gegensatz zum Bund Deutscher Pfadfinder, die traditionellen Formen (blaugelb, Stämme, Sippen Weltbundmitgliedschaft usw.) weiterverfolgte. Da es zum Teil auch um nicht unerhebliche Vermögenswerte (z.B. das Fritz Emmel Haus), aber auch um politische Lobby und staatliche Zuschüsse ging, waren die Auseinandersetzungen recht heftig. (Literaturliste bei Honk).
Die Vaganten gehörten, eher unbedarft, zu den Mitbegründern des ersten BdP, waren zeitweise sogar offiziell Mitglied in beiden Bünden und durften, da unvermögend, in Ruhe und verhältnismäßig traditionell weiterwursteln. Eine Teilung der Gruppe gab es nicht. Unterstützung bekamen die Vaganten sehr bald nur noch vom BdP mit kleinem "d", vor allem durch die Grauen Adler in Petterweil, bzw. die Grauen Biber in Bad Vilbel, bzw. die Landesversammlung. Klar, wohin schon bald die Jahresbeiträge überwiesen wurden. Von den Wulfen hörten wir gar nix mehr und vom BDP mit großem "D" auch nichts.
Erst 1971/72 tauchte mit der Jugendzentrumsbewegung (und wohl vor allem mit dem Zuzug von Herbert Swoboda) plötzlich eine Gruppe des Bundes Deutscher Pfadfinder in Schwalbach auf, die sich vor allem um offene Jugendarbeit bemühte. Nun ging ein Wettbewerb mit lautem Klappern an, denn mehr Geld konnten die Politiker nicht verteilen und wer am lautesten schrie, bekam und bekommt die meisten Zuschüsse. Gemeinsames Arbeiten scheiterte fast immer an der Auseinandersetzung um die Formen und die Bezeichnungen der Gruppen ("Sippe" war zum Beispiel Grund genug, uns großdeutsch germanische Umtriebe vorzuwerfen)
Viele Stämme des BdP hatten sich nach und nach auch für Mädchen geöffnet und auch die Vaganten ließen 1972 ihre erste Mädchensippe zu. Eines dieser Mädchen, Zwersch, wurde dann später Landesvorsitzende und noch später für ein paar Jahre hauptamtliche Generalsekretärin des Bundes und ist nach wie vor ehrenamtlich im Bundesvorstand tätig. Ein erster Förderverein, jedoch nicht formell in das Vereinsregister eingetragen, entstand. Zwischen 1972 und 1977 hatten die Vaganten dann über 120 aktive Mitglieder erreicht, bis zu 10 Sippen und 3 Meuten gleichzeitig. Die Arbeit war jetzt koedukativ, aber immer noch pfadfinderisch-bündisch und an der selbstverantwortlichen, festen Gruppe mit jugendlichem, ehrenamtlichem Gruppenleiter orientiert. 1975 fusionierte der Bund der Pfadfinder mit dem Bund Deutscher Pfadfinderinnen (dem bis dahin die interkonfessionelle deutsche Mädchenpfadfinderei im Weltverband der Pfadfinderinnen vertretende Gruppierung) zum Bund der Pfadfinderinnen und Pfadfinder, also dem zweiten, jetzigen BdP mit kleinem "d". Die Vaganten blieben ganz einfach und selbstverständlich Mitglied.
Die Zeit in der Pfingstbrunnenstraße
1977 wurde das alte Heim in der Hainstraße in einer Nacht und Nebelaktion plötzlich von den Behörden für baufällig erklärt. Immerhin brachten die Vaganten genügend politische Lobby bzw. politischen Druck zustande, um in der Kindertagesstätte Pfingstbrunnenstraße 100 qm zur Verfügung zu bekommen. Das Stammesabzeichen mit dem Schuh entstand in diesem Jahr, ebenso wie der Taunusbezirk im BdP, eher ein stilistischer denn regionaler Zusammenschluß von damals 8 Stämmen. Die Vaganten waren dabei zusammen mit den Kronbergen die liberalen Außenseiter. Jugendzentrum und offene Jugendarbeit der Stadt und anderer Vereine, auch des BDP, die sich nun an Abenteuerpädagogik versuchten, machten es den Vaganten immer schwerer, ein eigenes Profil zu halten, zumal auch im eigenen Bund eigentlich ständig über Formen und Inhalte gestritten wurde. Dennoch konnten die Vaganten bis Mitte der 80 er Jahre ihre Mitgliederzahlen halten, entwickelten wohl auch im BdP einen eigenen, liberalen und dennoch bündisch -pfadfinderischen Arbeitsstil, stellten mehrere Landesleitungsmitglieder, unzählige Trainer usw. Auch der eingetragene Förderverein entstand, u.a., um die mit Altpapiersammlungen erarbeiteten Gelder zu verwalten, bzw. eine vernünftige finanzielle Basis zu schaffen. Eine ganze Reihe von wechselnden Stammesführungen und Persönlichkeiten sorgten für Vielfalt und Leben in der Art und Weise der in Schwalbach betriebenen Pfadfinderei.
Das blaue Haus
1991 mußten die Räumlichkeiten in der Pfingstbrunnenstraße verlassen werden. Mit Hilfe des Fördervereines baute sich der Stamm neben dem damaligen Hallenbad, dem "Taunusbad" ein kleines Haus als Pfadfinderheim. Dieser gemeinsame Bau hat das Überleben in schwieriger Zeit sicher erleichtert. Zirka zwei Drittel aller Schwalbacher Familien sind zwischen 1962 und 68 zugezogen. U.a. daher hatte der Stamm die meisten Mitglieder, als die Geburtsjahrgänge 62 - 75 im Pfadfinderalter waren, also zwischen 1970 und 90. Hinzu kam, daß die Attraktionen des Pfadfinder Seins: Abenteuer, selbst etwas machen, viele verschiedene Aktivitäten ausprobieren, zunehmend auch von miteinander konkurrierenden offenen Anbietern und kommerziell viel bequemer zu erhalten sind (in unseren geschlossenen Gruppen gibt es ja Verpflichtungen!) Die Mitgliederzahl war auf etwas über 30 gesunken. Dennoch wurde immer in allen Alterstufen gearbeitet.
Die letzten Jahre
Viel Engagement hatte in den letzten Jahren wieder zu einem Anstieg der Mitgliederzahlen geführt. So bewegte sich die Mitgliederzahl immer knapp unter 90 Mitgliedern. Durch die Auflösung einer Mädchensippe fehlen jedoch derzeit einige Mitglieder im Gruppenführungsalter, wodurch eine Alterslücke entsteht. Trotz sinkender Mitgliederzahl auf derzeit 75 wird in allen Stufen Programm durchgeführt.
Nach bestem Wissen und Gewissen, jedoch ohne spezielle Recherche, aufgeschrieben von Armin Hupka (Honk). Ergänzt und zuletzt korrigiert am 18.04.2020.